23. Aug, 2016

Hier wohnen wir jetzt

Fürstenfeldbruck in einer Sommernacht

24. Apr, 2016

Mein schönstes Arzterlebnis

Mit meinem letzten Blog habe ich vielleicht den Eindruck erweckt, dass das Landarztleben nur aus Stress und Bürokratie besteht. Für die verständnisvollen mündlichen und schriftlichen Kommentare bedanke ich mich 🙂.

Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Als Landarzt bin ich nahe am Menschen, und ich habe wie kaum ein anderer das Vorrecht, Freude und Leid hautnah mitzuerleben. Stress ist nicht nur negativ, es gibt auch positiven Stress, "Eustress" genannt, das sind Herausforderungen, deren Bewältigung einen aufbauen.

Es war das Jahr 2002, ein kalter sonniger Freitagmorgen. Gegen 6 Uhr erhielt ich einen Anruf aus einem nahen Dorf in Unterfranken: "Hilfe, meine Tochter bekommt ein Kind !" Ich kenne die Familie gut, und an der 16-jährigen Tochter war kaum jemandem etwas aufgefallen. Aber nun bekam sie zu Hause ein Baby, obwohl sie an keiner einzigen Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchung teilgenommen hatte. Ich fuhr sofort hin, und als ich das Haus betrat, war das kleine Mädchen schon da, gesund aber etwas unterkühlt. Praktische Erfahrung mit Geburten hatte ich nur mit meinen eigenen 3 Töchtern gesammelt und bei diversen Kaiserschnitten im Op. Wir unterbanden die Nabelschnur mit einem Bindfaden. Glücklicherweise kannte ich eine Hebamme im Nachbardorf. Wir riefen sie an, und innerhalb von 10 Minuten kam sie zu Hilfe und betreute die 16-jährige bei der Nachgeburt. Mutter und Kind ging es gut, beide sollten sich im  Bett so gut es ging wärmen. Aber dann sank der Puls des Säuglings auf 100 pro Minute, ich wusste, das war für einen so kleinen Menschen zu wenig, und so alarmierten wir noch den Kindernotarzt. Es kamen zwei "Rettungswägen", wie man in Franken sagt: Einer für die junge Mutter und einer mit Brutkasten für das winzige Mädchen. Nun hatte der frisch gebackene Großvater noch ein Problem: Meine Tochter muß zur Arbeit. Also rief ich den Ausbildungbetrieb, eine Bäckerei an: "Die XY kann heute nicht zur Arbeit kommen." Rückfrage: "Ist sie denn krank ?" Ich antwortete: "Krank nicht direkt, aber arbeitsunfähig. Wir schicken eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung." Dann tranken die neuen Großeltern mit mir zusammen in der Küche noch eine Tasse Kaffee, bis ich wieder zur Sprechstunde nach Gemünda aufbrach.

Die 2002 zu Hause geborene junge Frau mit dem einzigartigen Geburtsort hat sich hervorragend entwickelt und besucht heute das Gymnasium. 

Andere schöne Erlebnisse hatte ich, wenn ich buchstäblich Leben retten konnte. Einige Jahre später, ich war gerade beim Abendessen, erhielt ich folgenden Anruf: "Notfall in Dietersdorf. Kreislaufkollaps nach Wespenstich". Ich wusste sofort: Das kann ein lebensbedrohlicher anaphylaktischer Schock sein. Zum Glück erinnerte ich mich, dass die Hauptstraße nach Dietersdorf gesperrt war wegen Bauarbeiten. Ich nahm den Feldweg und war innerhalb von 8 Minuten bei dem am Boden liegenden jungen Mann, um ihn herum Frau und mehrere kleine Kinder. Puls schnell, Blutdruck niedrig, Bewußtsein getrübt. Habe sofort eine Infusion aus meiner Notfalltasche geholt und angelegt, 250 mg Prednisolon gespritzt. Die Kinder haben wir ins Kinderzimmer geschickt, die Frau durfte die Infusion halten, bis nach 10 Minuten der Notarzt kam, mein Freund Martin Lücke aus Coburg. Dieser nahm mit Hilfe seiner Rettungsassistenten den inzwischen kreislaufstabilen Patienten mit ins Klinikum, nachdem er mir ein besonderes Präsent überreicht hatte: Eine Ampulle hochdosiertes Prednisolon für meinen Notfallkoffer.

Gern würde ich auch noch über mein schaurigstes Erlebnis berichten, eine Leichenschau im Auftrag der Kriminalpolizei Coburg, bei der ich einen dieser hellen Ganzkörperanzüge tragen durfte, wie man sie von Kriminaltechnikern aus entsprechenden Filmen kennt. Aber mit Rücksicht auf die Hinterbliebenen, die an Hand von Details identifiziert werden könnten, verzichte ich darauf. 

Landarzt ist auf jeden Fall ein vielseitiger und spannender Beruf. Aber auch kräftezehrend und nicht unbegrenzt ausübbar. Denn ich bin nur ein Mensch, ein Arzt mit Grenzen. Obwohl ich die "Ärzte ohne Grenzen" sehr schätze und unterstütze. Aber der Name der Organisation bezieht sich auf Staatsgrenzen.

 

25. Mrz, 2016

Warum der Landarzt nicht mehr klingelt

Das Besondere am Landarzt ist, dass er im Notfall und bei fehlender Transportfähigkeit des Patienten auch ins Haus kommt. Um ins Haus zu gelangen, muss der Arzt wie jeder andere Dienstleister, z.B. der Postbote, an der Tür klingeln. Meistens wohnt der Landarzt auch im Dorf, denn im vorigen Jahrhundert galt die "Residenzpflicht", das heisst der Arzt musste in der Nähe seiner Praxis wohnen - heute nicht mehr. Das Landleben ist aus meiner Sicht als Arzt eine zweischneidige Sache: Man steht unter intensiver sozialer Beobachtung, da man einen gewissen Prominentenstatus hat. Von den meisten wird der Arzt freundlich gegrüsst, aber es gibt auch diejenigen, die aus irgendwelchen Gründen den Arzt nicht mögen, die schauen dann weg und tun so, als ob sie ihn nicht kennen. Nicht zu vergessen die Gerüchte, die sich bei tatsächlichen und vermeintlichen Veränderungen in der Praxis wie ein Lauffeuer verbreiten. Es gibt natürlich auch positives Reden, wenn Patienten gute Erfahrungen mit dem Arzt gemacht haben, tragen sie zum guten Ruf der Praxis bei. Leider gibt es aber auch das Gegenteil, den Rufmord - Mord natürlich im übertragenen Sinne, es geht ja "nur" um die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen.

Manchmal klingelt es beim Landarzt, nicht in der Kasse, sondern an der Haustür, wenn der Arzt freies Wochenende hat, er ist ja nur noch 8x im Jahr zum Notdienst in Stadt und Landkreis Coburg eingeteilt. Als ich noch jünger war, habe ich fast alle außerplanmäßigen Wochenend- und Nachtbehandlungen bereitwillig durchgeführt, denn ich glaubte, ich müsste meinen Patienten diesen Service bieten. Mit der Zeit merkte ich aber, dass ich die freien Wochenenden dringend für mich selbst und meine Familie benötigte, um mich zu erholen und für die anstrengende Arbeit in der Woche zu regenerieren. Und manche Patienten waren trotz geleisteter Hilfe unzufrieden, da ich in meiner Freizeit manchmal nicht die nötige Arbeitsfreude zeigte, und ich sah sie dann nie wieder in meiner Sprechstunde. Andererseits erinnere ich mich an einige Notfalleinsätze, bei denen ich Leben retten konnte, und das habe ich wirklich gern getan, da hat es mir Freude gemacht zu helfen.

Wenn ich als fast 60-Jähriger nun darüber klage, dass ich gern die Arbeitszeit meiner 60-Stunden-Woche reduzieren möchte, da das Überstrapazieren meiner Kräfte gesundheitsschädlich ist, höre ich manchmal, dass meine Sprechstunden nicht mehr so lang sind wie früher. Ja, richtig, und die Sprechstunden sind nur die Hälfte der Zeit, die ein selbständiger Arzt für seine Arbeit benötigt. Hinzu kommen Betriebsverwaltung, Personalgespräche auf Grund der Fürsorgepflicht als Arbeitgeber und ein ungeheures Ausmass an Verwaltungsbürokratie. Ich habe in den letzten Jahren viele Stunden meiner kostbaren Lebenszeit dafür verwendet, um aus meiner Sicht notwendige Verordnungen von Medikamenten und Massagen vor den Krankenkassen zu rechtfertigen, damit ich teils fünfstelligen Strafzahlungen, genannt Regresse, abwehren konnte. Aus historischen Gründen - vor 20 Jahren wurden aus einer Doppel-Gemeinschaftspraxis 3 selbständige Konkurrenzpraxen - habe ich meistens die Patienten mit überdurchschnittlichem Versorgungs- und Verordnungsbedarf behandelt, und das hat mir dann die zeitraubenden Wirtschaftlichkeitsprüfungen beschert. Mein Ziel als Landarzt war nie, grosse Reichtümer anzuhäufen - das geht in diesem Beruf sowieso nicht - sondern ich wollte die mit der beruflichen Selbständigkeit eingegangenen finanziellen Verpflichtungen abtragen und trotzdem leben.

Ich stelle fest, dass junge Ärztinnen und Ärzte nicht mehr so wie ich als Einzelkämpfer und Dorfarzt leben wollen. Die neuen Ärztinnen und Ärzte der sogenannten Generation Y wollen auch keine Reichtümer anhäufen, aber sie wollen leben, Zeit für Familie und Freundschaften, vielleicht ein Hobby. Diese Arbeitsbedingungen lassen sich wohl nur in einer überörtlichen Zusammenarbeit von mehreren Ärztinnen und Ärzten, von denen manche Teilzeit arbeiten, in einem übergeordneten Zentrum mit Zweigpraxen verwirklichen. Dann hat eben nicht mehr jedes Dorf seinen eigenen Arzt, der dem Arzt des Nachbardorfes Konkurrenz macht, sondern die medizinische Versorgung ist mehr zentralisiert und kooperativ. Und der Arzt der Zukunft wohnt in der Stadt, arbeitet aber auf dem Land. Auch im neuen System kann der Patient seinen Lieblingsarzt aussuchen, aber dieser ist nicht immer und überall erreichbar.

Die jungen Ärzte haben recht. Es gibt ein Leben nach der Praxis. Wenn ich einfach wie bisher weitermache, zögere ich den unvermeidlichen Umbau der medizinischen Versorgung auf dem Land nur um einige Jahre hinaus, und am Ende bin ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, meiner anderen Berufung, die ich neben dem Arztberuf habe, zu folgen.

So weit einige persönliche Gedanken und Gründe, warum ich nach immerhin 20 Jahren nicht mehr auf dem Land leben möchte.                               Von Dr. Stefan Hänisch.

1. Jan, 2016

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1. Jan, 2016

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